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Heißgeliebte Tante Käthchen

Veröffentlicht: Donnerstag, 13. Januar 2022
von Elisabeth Dichter-Hallwachs
vom Hof Hamerskaul

Tante KäthchenMeine feministisch angehauchte Tochter fragt mich:“Was hattest Du als junger Mensch für Frauenideale?“ Ich brauche nicht lange zu überlegen. Als Kind wollte ich am liebsten eine „Heilige Elisabeth“ werden, später wie Mutter Teresa was Großartiges für die Menschheit tun. Als Jugendliche wollte ich wie Sophie Scholl für meine Überzeugung einstehen, oder wie Joan Baez, diese mutige, politisch engagierte amerikanische Folksängerin, gegen Krieg und Leid in der Welt ansingen.
„Gab es in Deinem realen Leben auch Frauen, die für Dich Vorbild waren?“, fragt meine Tochter nach. Da denke ich sofort an meine Tante Käthchen und fühle eine tiefe, liebevolle Zuneigung und Verehrung für diese kleine, zähe, tapfere Frau. Eine Frau, die keine weltbewegenden Taten vollbracht hat und über die nichts in Zeitungen und Büchern steht. Eine „einfache“ Frau aus meinem kleinen Eifeler Heimatdorf Gilzem, die mit ihrem gesunden Menschenverstand und ihrem großen Herzen so viel Herzensgüte und Menschlichkeit in die Welt gesetzt und so vielen Menschen beigestanden hat.
Heute weiss ich: Die Welt bewegt sich vor allem durch Menschen wie sie, die täglich, selbstverständlich und ohne den Blick der Öffentlichkeit ihr Bestes geben und mehr tun als ihre Pflicht.
So ein Mensch war meine Tante Käthchen. Viele Bilder und Erinnerungen an sie tauchen auf, und begeistert erzähle ich meiner Tochter von ihr, die mich ermuntert, diese aufzuschreiben.

"En äfach Äfeler Fraa" - ein Eifeler Frauenschicksal im letzten Jahrhundert

Käthchen wurde 1920 in der schlechten Zeit nach dem Ersten Weltkrieg in eine eher arme Familie hineingeboren. Sie hieß eigentlich Katharina, ein schöner, heiliger Name. Aber in den Eifeldörfern herrschte früher die Sitte, alle Namen abzukürzen, so als hätte man keine Zeit, sie ganz auszusprechen. Also aus Katharina wurde Kätt, und vielleicht hat man
dann, weil Katharina sehr klein und zierlich war, noch das verniedlichende „-chen“
angehängt.
Nach ihrem eigenen Erzählen war ihr Vater eine Art Tagelöhner im Steinbruch, der häufig zu viel trank und wenig Geld nach Hause brachte. Die Mutter verdiente mit Näharbeiten ein paar Groschen dazu. Käthchen musste sich als ältestes Mädchen viel um die zahlreichen Geschwister kümmern und alles im Haushalt machen. Schon ab dem 10. Lebensjahr musste das zarte Mädchen für ein paar Lebensmittel schon zeitweise hart bei den Bauern arbeiten.
Ich sehe sie vor mir, als zartes Kind mit langen Zöpfen, mit der von der Mutter aus Resten genähten Schürze und den „Pennenschoon“ (grobe vom Schuster gemachte Schuhe mit Nägeln auf der Sohle, die das Leder schonen sollten). Sie hatte nur ein paar Schuhe, die dreckig von Feld und Stall morgens vor der Schule geputzt werden mussten. Als sie aus der einklassigen Dorfschule entlassen wurde, fragte niemand: “Wat wellst dou daan ginn (Was willst du werden)?“ Zu der Zeit gab es keine Wahl. Sie musste sie sich bei den Bauern „verdingen“.
Und so kam Käthchen als Dienstmagd in den Betrieb meiner Großeltern, die neben der Landwirtschaft auch eine Gastwirtschaft und einen Lebensmittelladen hatten. Käthchen war „dischdisch“, sehr tüchtig (wohl die wichtigste Eigenschaft in der Eifel). Käthchen konnte überall eingesetzt werden, in Stall und auf dem Feld, in Küche und Haus, aber auch in der Gastwirtschaft und im Laden. Klein und zierlich von Statur, konnte sie „schaffen wie en Maanskerel“. Später sagte sie oft:“Et hott noch nie ähnen gesot, dou bass ze klä fir ze schaffen.“ Und „op de Mond gefaal“ war sie auch nicht.

„Daat Woat Liebe gett et net op Platt“ - eine Eifeler Lovestory

Karl und Kaethchen um 1950Käthchen wurde im „Korelzen“ - Haus (das war unser Hausname) gut behandelt. Aber es gab nur Schaffen, Schaffen und wenig Vergnügen. Als sie 19 war, brach der Krieg aus. Die Männer und auch die Jungs im Haus mussten „ins Feld“, und die Frauen hatten vor allen Dingen auch in der Landwirtschaft noch mehr Last zu tragen. Karl, der älteste Sohn, war vom Kriegsdienst befreit, und es kam, wie es kommen sollte: „Hen hott en Aoh op dat dischdisch Käthchen gewurf“. Und der attraktive, vielseitig interessierte Karl gefiel dem Käthchen auch.
Heute würde man sagen, sie verliebten sich ineinander. Das Wort „Liebe“ gibt es aber erstaunlicherweise nicht im Platt. Das sagt vielleicht auch was darüber aus, welchen Stellenwert man der Liebe gab. Doch „sie konnten zusammen nicht kommen“, wie es in dem alten Volkslied heißt. Die Großeltern waren dagegen, denn Käthchen kam nicht aus einer Bauernfamilie und war deshalb nicht „standesgemäß“. Nein, das war nicht im Mittelalter, sondern in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts in der Eifel!.

Später habe ich oft mit Tante Käthchen darüber gesprochen; denn für uns heute ist es nicht zu begreifen, dass sie sich nicht gegen die veralteten Vorstellungen der Eltern durchgesetzt haben."Dejn Grußeltan waren good Menschen, un de Zejt wa ewen su", wischt Tante Käthchen mit ihrer ureigenen rigorosen Art meine Kritik vom Tisch. Nie hat sie mit ihrem Schicksal gehadert.
Also Karl durfte sein Käthchen nicht heiraten, und beide fügten sich. Meine Großeltern beschlossen, dass Karl, der wohl auch „e schwaach Heaz“ hatte, als Onkel im Haus bleiben und mein Vater, der jüngere Bruder, den Betrieb übernehmen sollte. So konnte mein Vater meine Mutter heiraten, und Onkel Karl bekam das Lebensmittelgeschäft vererbt.

Wie ous dem Käthchen dann doch nooch mein Tant goof

Als meine Mutter als junge „Schnoor“ ins Haus kam, wollte Käthchen dort nicht mehr arbeiten. Käthchen hat dann in anderen Betrieben und Haushalten gearbeitet, vor allem auch dort, wo Not am Mann bzw. an der Frau war. So ist sie jahrelang mehrmals in der Woche zu Fuß zum Nachbarort zu Verwandten gelaufen, wo sie wegen Erkrankung der Mutter die Kinder und den Haushalt versorgte. Meine Kusinen sagen heute noch, dass Tante Käthchen für sie wie eine Mutter war und auch immer blieb.
Meine ersten Erinnerungen bzw. Begegnungen mit ihr hatte ich, als sie noch nicht meine Tante war. Mein Onkel Karl ging nämlich weiter mehr oder weniger heimlich zu Käthchen „freien“. Wenn sonntags viel Betrieb in unserer Wirtschaft und Onkel Karl nicht zu Hause war, brummte mein Vater: „Hen ass wohl noarmol hannen an der Gaass bej dem Käthchen!“ Wir Kinder mussten Onkel Karl rufen gehen, und das hatte was furchtbar Unangenehmes an sich. Wir wussten ja nicht, worum es ging, und keiner sprach mit uns darüber. Es fühlte sich irgendwie unanständig an. Und Käthchen war für mich suspekt.
Das änderte sich jedoch schlagartig nach der Hochzeit, zu der es schließlich nach rund 25 Jahren doch kam.
Ich kann bis heute kaum verstehen, dass dieser gescheite, kluge, gutmütige Karl nicht mal bei seinen Eltern auf den Tisch haute und sich durchsetzte. Und schlimmer noch, nach dem Tod seiner Eltern hatte mein Vater als jüngerer Bruder, aber sozusagen als Familienoberhaupt, die Rolle der Großeltern übernommen und das Käthchen erstmal abgelehnt. Und als die Hochzeit anstand, knurrte er: “Mat dem Käthchen ginn eisch net vawandt!“ Und er ging nicht mit zur Trauung. Heute unvorstellbar; denn auch er war eigentlich ein sanfter, weicher, gutmütiger Mensch. (Später hat Käthchen dann wie selbstverständlich auch sein Herz erobert.)

Ich erinnere mich sehr deutlich an diese außergewöhnliche Hochzeit. Ich war damals 10 Jahre alt. Mein Onkel Karl wollte sehr gerne, dass wir vier Kinder aus dem Haus mit dabei sind; denn er hatte ein sehr innigliches Verhältnis zu uns. Da hat meine Mutter mal Courage bewiesen und ist mit uns Kindern ohne Papa nach Himmerod zur Hochzeit gefahren.
Diese ganze außergewöhnliche Situation konnte ich damals noch nicht richtig verstehen. Eine Hochzeit mit einem für mich uralten Paar, ohne weißes Kleid und Schleier, ohne „Nobarstubb“ (Tanzmusik für die ganze Dorfjugend), ein kleiner Trauungsgottesdienst in der Klosterkapelle von Himmerod, nur die nächsten Verwandten dabei. Doch der Gilzemer Männerchor (Onkel Karl war ein begnadeter Tenorsänger und hat den Chor wohl maßgeblich mitgeprägt) singt die Deutsche Messe von Schubert. Ich weine und weine... Vielleicht fühlte meine Kinderseele, die noch vieles nicht verstand, die große Liebe dieser beiden Menschen, die nun ein Happyend fand.
Vor der Hochzeit hatte mein Onkel Karl neben uns ein neues Haus gebaut; und erst nach der Hochzeit, wie sich daat gehiert, zog er mit Käthchen dort ein.
Dann zog er auch mit seinem Laden dorthin um. Wir Kinder halfen gerne und viel dabei und lernten Käthchen ja jetzt erst richtig kennen. Ich mochte sie sofort schrecklich gerne, mit ihrer direkten, herzlichen, toleranten Art. Sie war mit uns Kindern viel großzügiger und verständnisvoller als unsere Eltern.

Doch noch ein Happyend

Mit weit über 40 Jahren hatte Käthchen nicht nur viel geschafft, sondern es geschafft: Sie hatte ihren geliebten Karl nun endlich heiraten können. Sie hatte mit ihm ein schönes eigenes Haus und war stolze Ladenbesitzerin geworden, von der Dienstmagd zur Ladenchefin aufgestiegen. Sie blieb jedoch, wie sie war, herzlich, gütig, großzügig und verständnisvoll für jeden. Bedienen und Dienen war schon immer ihre Profession.

Als junger Mensch habe ich oft im Laden geholfen und viel mit ihr diskutiert. In dieser Zeit, Ende der 60er, hatte ich mit meinem beginnenden „revolutionären Geist“ wenig Verständnis für die angepasste Haltung dieser Generation. Aber Käthchen haderte nie, und die beiden hatten dann doch noch 25 gute Jahre miteinander. Leider waren sie zu alt, um noch Kinder zu bekommen. Auch damit haderte sie nicht.
So wurde mein jüngster Bruder Johannes, der immer das Lieblingskind meines Onkels war, „Bejsaatz“ bei den beiden. Oft sagte Tante Käthchen: „Den Johannes, den ass su good zo mia, besser kennt en aije Kand net senn!“
Auch als Karl 1986 mit 73 Jahren zu früh starb, haderte Käthchen nicht. „Mia haatten doch noch iewa zwanzig schinna Joahr mattenähn!“ Ich konnte immer die tiefe Liebe zwischen den beiden fühlen.
Als Johannes seine eigene Familie gründete, blieb Käthchen mit im Haushalt, und seine fünf Kinder betrachteten sie als ihre dritte Oma. Käthchen kochte zeitlebens wie selbstverständlich für die ganze große junge Familie, redete den jungen Leuten aber nicht in ihr Leben hinein.

Tant Käthchen am Buddik – Tant fia et gaanz Doarf

Tante Käthchen im LadenWenn ich an meine Tante Käthchen denke, sehe ich sie immer hinter der Theke in ihrem „Tante-Emma-Laden“, klein, flink und freundlich, mit ihrem runden Gesicht und den neugierigen, gütigen Augen. Immer hatte sie die typische „Kiedelschearz“ an. Ein wenig „huffatisch“ (eitel) konnte sie aber auch sein. Ihre ehemals dunklen Haare, die sie zu einem Dutt hochgesteckt hatte, hat sie sich zeitlebens dunkel färben lassen. Und für festliche Anlässe gönnte sie sich durchaus auch mal „e good Kostümm“. Aber da sie fast immer hinter der Ladentheke stand, sah man sie auch fast immer nur mit Kittelschürze.

Von der Theke und ihrem Laden hatte sie den Überblick über das ganze Dorf. Sie kannte alle Familien und Familiengeschichten bis ins Detail. Sie war auch ein wenig „fuawatzisch“ (neugierig) und wurde deshalb schon mal ein wenig schelmisch „et dritt Programm“ genannt.
In ihrem Buddik war sie stets ganz für die Menschen da. Sie bediente und verkaufte gerne. Aber sie hatte sich auch wirklich für die Menschen interessiert, hatte ein Ohr und viel Verständnis für ihre Nöte, Sorgen und Schicksale, und nie hatte sie irgendetwas Schlechtes über andere geschwaat. Sie konnte jeden hollen wie e war. Ich weiß, dass so mancher zu ihr in den Laden ging, obwohl er gar nichts brauchte, nur um ein Schwätzchen mit ihr zu halten. Für jeden Geplagten hatte sie ein offenes Ohr, für jedes Kind en Zockabunn und für so manchen armen Schlucker ein paar Scheinchen.
Meist war ihre Ladentür schon morgens um halb sieben auf, damit die Arbeiter noch vor ihrer Arbeit Zigaretten kaufen konnten. Und selbstverständlich konnte man auch abends nach Ladenschluss und sonntags bei ihr klingeln, wenn man noch dringend etwas brauchte. Sie war auch durch und durch Geschäftsfrau; denn sie hatte ja gelernt, die Groschen beisammen zu halten. Aber es war auch ihre Profession, gerne für die Menschen da zu sein. So gut wie alle Kranken im Dorf wurden von ihr besucht und beschenkt, und wenn in einem Haus jemand gestorben war, war Käthchen zum Helfen zur Stelle und hat bei mancher Totenwäsche geholfen.

Tant Käthchen a Goart un Kischen

Tante Käthchen im GartenIch sehe Tante Käthchen mit Vorbindschürze, Kopftuch und Hacke unermüdlich in ihrem Garten wirken. Oft schon morgens früh um sechs, bevor sie den Laden öffnete, oft mit hochrotem Kopf in der prallen Mittagssonne, oft abends bis zur Dunkelheit. Sie war glücklich mit diesem kleinen Stück Land, das sie mit viel Anstrengung, aber auch mit viel Liebe von Hand bewirtschaftete. Vielleicht gerade, weil sie nicht aus einem dicken Bauernhof stammte, war ihr dieses kleine Stück eigenes Land so wichtig.
Unermüdlich setzte sie Frühkartoffeln und Erdbeeren, die sie morgens früh erntete und im Laden verkaufte. Und natürlich gab es auch alle Arten von Gemüse zum eigenen Verbrauch und immer auch reichlich verschiedene Blumen, damit sie immer welche „fia op den Kiaschhof“ hatte. Noch mit über 80 rannte sie mit ihrer Hacke in den Garten, und das ganze Dorf schüttelte den Kopf. Aber Käthchen war überzeugt: “Schaffen an seisch ass doch neist Schlimmes!“
Ich sehe sie auch mit ihrer Kittelschürze am Herd stehen und einen großen Topf mit Kirmeszopp kochen.“Dou moos de Knoochen mat kaalem Waaser opsäätzen un viel Zoppegreens randoan!“, erklärt sie mir. Sie kochte sehr gerne. Oft zwischen dem Bedienen im Laden, nebenbei noch ein bisschen Fernsehen guckend, aber immer deftig und gut. Jahrelang reiste sie bei Verwandten und Bekannten an, um et Kirmesässen ze koochen. Praktisch bis zuletzt kochte sie für die junge Familie im Haus mit, und es war ihr nicht zu beschwerlich, oft noch so manchem Kind ein Extrawürstchen zu braten. Eine meiner Nichten erinnert sich: „Bei Tante Käthchen durfte ich so viele Pfannkuchen mit so viel Zucker essen, wie ich wollte.“
Sie selber hat auch gerne gut gegessen. Ich glaube, sie genoss mit großer Dankbarkeit jede Mahlzeit in ihrer Fülle und Vielfalt, weil ihre Kindheit so ärmlich und bescheiden war.
Gerne hat sie auch ein „Schäpchen“ Wein dazu getrunken.

Tante Käthchen voller Lebensfreude

Ich sehe Tante Käthchen noch im hohen Alter mit ihrer schönen Sopranstimme im Gilzemer Chor singen, in dem sie 40 Jahre lang Mitglied war. Sehr gerne sang sie im Gottesdienst, aber auch auf den Dorffesten. So gern sie auch geschafft hat, so sehr konnte sie auch die kleinen Abwechslungen, die im Dorfleben möglich waren, genießen.
Also einmal in der Woche Chorprobe und einmal in der Woche auch mit viel Leidenschaft im Kegelclub.
Es wird erzählt, dass sie immer schlecht verlieren konnte. Ja, die Pfennige mussten, auch als es nicht mehr so nötig war, zusammengehalten werden. Sie guckte auch gerne im Fernsehen Fußball und ärgerte sich tierisch, wenn Deutschland oder ihre Lieblingsmannschaft Bayern München verlor. Mein Bruder erzählt, dass sie dann „voa Roaserei“ den Fernseher ausmachte.
Auch verreiste sie im Alter noch sehr gerne, machte noch viele Touren und Busreisen und traute sich sogar zu fliegen. Sie hatte sehr viel Verständnis für die jungen Leute, die gerne Urlaub machten; denn das konnte sie in ihrer Jugend ja gar nicht.
Käthchen, die in ihrer Jugend wenig Bildung genossen hat, hat zeitlebens gerne gelesen, von Groschenheftchen über Zeitschriften bis hin zu anspruchsvollen Romanen.
Über 40 Jahre hatte sie ein Abo am Trierer Theater, wo sie bequem mit dem Volkshochschulbus hinfahren konnte. Einen Führerschein hatte sie ja nie. Einer anderen Frau aus dem Dorf, die mal mit in Goethes „Faust“ war und der das überhaupt nicht gefallen hatte, sagte sie: “Joo, daat ass net nur eppes fia ze laachen, daat as eppes fia ze dinken!“
Oft besuchte sie meine gleichaltrige Mutter, die im Alter eher depressiv und wehleidig war, um sie aufzuheitern. Einmal sagte meine Mutter zu ihr: „Oah Käthchen, wären mia zwaai doch schon good am Hiemel!“ Da entgegnete Käthchen aber sehr heftig mit ihren 85 Jahren: „Bass dou daan verreckt, eisch lewen awa noch geren!“
Ich glaube, Käthchen hatte ihre große Kraft und Lebensfreude auch aus ihrem tiefen Gottvertrauen gezogen. Ich sehe Käthchen sonntags in die Heilige Messe rennen (langsam gehen konnte sie nicht), und auch zum Rosenkranzgebet. Vielleicht konnte sie ihr nicht immer einfaches Schicksal so gut annehmen, weil sie einen festen Glauben hatte. „Esen Herrgott mischt daat schun“, sagte sie häufig.

Nachdem ich meiner Tochter so viel über das Leben meiner Tante Käthchen erzählt habe, schweigen wir beide eine ganze Weile. Ich glaube, auch meine Tochter hat einen neuen Blick auf diese „unemanzipierten, angepassten und altmodischen Frauen“ dieser Generation bekommen, die so viel geleistet haben, wovon wir Nachkommen profitieren.

Ich möchte nicht ihr nicht immer einfaches Leben gehabt haben. Aber ich wünsche mir, wie sie zu sterben. Fast 90 Jahre alt, immer noch mitten im Leben, immer noch am Schaffen im Dorfladen, voller Lebensfreude, voller Herzensgüte, voller Gottvertrauen und vom ganzen Dorf geliebt, verabschiedete sie sich quasi mitten im dörflichen Chorkonzert.
Als sie 2007 starb, ist kein Bundespräsident angereist, um diese besondere Frau zu würdigen. Deshalb möchte ich ihr mein persönliches Bundesverdienstkreuz verleihen und ihr hiermit ein Denkmal setzen.

Ich habe mich getraut, in ihrer Beerdigungsmesse eine Laudatio auf sie zu halten. Das ganze Dorf klatschte Beifall! Das war noch nie bei einer Beerdigung vorgekommen.

Ich hatte allen aus dem Herzen gesprochen.

Grabrede für Tante Käthchen
gehalten bei der Beerdigungsmesse in Gilzem am 5. Oktober 2007

Tant Käthchen
jeden hot „Tant Käthchen“ zo dia gesoot
un dou was wirklich de Tant
de Tant fia ies all
en Tant, wie ma se sich nur wenschen kaan
Tant fia en Haufen Nischten un Neffen
Tant fia de ganz groß Familisch
Tant fia et ganz Doarf
Tant fia ies allegoar

Tant Käthchen
mat deim unglaublich grußen Hearz
volla Güte un Menschlichkäit
wieviel Zockabunnen hoss dou un Kanna verdählt
wieviel Soargen dia ugehuhrt
wieviel Trostpflästascha opgekleft
wievielen Menschen bejgestaan
wieviel Groschen verschinkt
wie gerr hoss dou Goots gedoon – bas zeletzt

Tant Käthchen
dou mat deiner großen Lebensfreude
wie gerr hoss dou gefeiert
wieviel Leda wohl gesungen
wieviel Steckelscha azehlt
wieviel Räsen gemaach
wieviel Kählen geschiewen
wie gerr hoss dou gelaacht
wie gerr hoss dou geleft – bas zeletzt

Tant Käthchen
mat deina unermüdlichen Schaffenskraaft
wieviel Krumpan hoss dou wohl gescheelt
wieviel Botzlappen ousgefrungen
wieviel Wäsch gefahlt
wieviel Erdbeerplenzja gesaat
wieviel Zeppscha gekoocht
wieviel Extraweeschscha gebroden
wie gerr hos dou geschafft – bas zeletzt

Tant Käthchen
mat Leib un Seel hanna da Thek
am „Tant-Käthchen-Loaden“
schun moarjens um sechs – Daach fia Daach
dou konnst spieren
watt de Lett brouchten
fia hieren leib un fia hier Seel
wie gerr wast dou fia de Lett doo – bas zeletzt

Tant Käthchen
dou mat deinem grußen Gottvertrauen
wie gerr bass dou an den Kirch gaang
wieviel Rusenkränz sahlst dou gebeet hunn
volla Vertrauen op den Herrgott
konnst dou de Welt
an hiera Unvollkommenhät
vollkommen unhollen, wie se ass
un och dejn Schicksal
- watt net emma lejcht wa -
host dou ganz ugeholl
ohne ze zaudern
ohne ze hadern
dou bass nie stohngebliewen
un äisch gläwen fest
loa owen am Hiemel gäht et fia däisch wedda

Tant Käthchen
stieh ies all ous dem Hiemel bej
un läch bej eesem Herrgott
e Woart fia ies an
datt wia noh deim Vorbild
eesen Lebenswäsch goon kennen – wie dou
  • voller Herzensgüte
  • voller Lebensfreude
  • voller Schaffenskraft
  • un voller Gottvertrauen

Tant Käthchen

wia hunn däisch all su gerr
Tant Käthchen
dou ees aller Tant
Tant Käthchen
Danke!

Elisabeth

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